4 Funktionen von Schmerz: Darum leidest du

Schmerz bringt uns oft zu Fall.

„Wir streben mehr danach, Schmerz zu vermeiden als Freude zu gewinnen.“
Sigmund Freud

Lesezeit: 3 Minuten

In der Tat: Besonders in der heutigen Zeit sind wir sehr darauf aus, Schmerzen zu vermeiden. Ein Großteil der Angebote auf dem Markt sind dazu da, jeden Leidensdruck aufzuheben – neben den Millionen anderen, die unsere Gelüste wecken und befriedigen sollen.

So gibt es zum Beispiel zahlreiche verschiedene Ärzte, die unsere Leiden lindern – vom allgemeinen Hausarzt bis zum spezialisierten Endokrinologen. Daneben verschiedene Arten von Psychotherapie, Reha, die alternativen Medizinangebote, aber auch Fitnessstudios, Yogastudios …

Die Lustindustrie ist hingegen so groß, dass ich es hier gar nicht aufzählen kann. Herrliche Urlaubsangebote locken oder Instagram präsentiert die neueste, heißeste Jeans. Dank Internet ist fast jede Versuchung nur wenige Klicks entfernt. Wir leben in einer Lustkultur, die „Positive Vibes“ geradezu verlangt, die Schattenseiten aber oft unter den Teppich kehren will.

Was macht das mit uns? Oder was macht es eben nicht? In der „Sternstunde Philosophie“ hat sich Philosoph Konrad Paul Liessmann in der Folge vom 26.09.2021 solchen und ähnlichen Fragen gestellt. Ich fand seine Erkenntnisse so spannend, dass ich mir Notizen gemacht habe. Aus denen will ich dir jetzt 4 verschiedene Funktionen von Schmerz vorstellen.

1. Schmerz als Kommunikationsinstrument

Schmerzen sind wie Gefühle ein Mittel zur Kommunikation. Mit uns selbst. Leid zeigt uns: „Tu etwas, damit ich verschwinde!“ Schmerzen sind immer ein Hinweis, dass wir aus der Balance geraten sind. Sie zeigen uns, wenn wir „auf Entzug“ sind, zum Beispiel von unserem Partner. Wenn eine Beziehung weh tut, dann bestimmt nicht, weil sie in Balance ist.

Schmerz kann uns aber auch zeigen, wenn wir unseren Körper ungesund belastet haben oder unsere Gewohnheiten ändern sollten. Ein klassisches Beispiel: Rückenschmerzen. Dein Rücken schmerzt nicht, wenn du in Balance bist und so weitermachen kannst wie bisher. Dein Rücken schmerzt, weil du dringend deine malträtierten Muskeln dehnen und für mehr Ausgleich sorgen solltest.

2. Schmerz als Entwicklungsantrieb

Die erste Variante von Schmerz ist vielleicht noch recht naheliegend. Aber wusstest du, dass Schmerz unser Entwicklungsantrieb ist? Schmerz „vertieft“ den Menschen, sagt Liessmann. Durch Schmerz wachsen wir. Weg von der Oberfläche zu dem, was wirklich wichtig ist: Unsere Bedürfnisse.

Wenn wir keinen Schmerz erfahren würden, warum sollten wir uns dann um unsere Bedürfnisse kümmern? Warum sollten wir dazulernen? Warum sollten wir uns in andere hineinversetzen können?

Ein Mensch ohne Schmerz schwebt in ständiger Gefahr: Körperlich und psychisch. Er vergisst sich selbst, und die anderen um ihn herum gleich mit. Schmerz sorgt dafür, dass wir auf uns achtgeben – solange wir ihn nicht ignorieren, sondern ihn aufmerksam anschauen und damit arbeiten. Schmerz ist also gut! Und nicht schlecht, so, wie wir ihn oft darstellen.

3. Schmerz als Gegenpol zu Lust

Vielleicht hast du ja schon mal so richtig gefeiert. Mit viieeel Alkohol im Spiel. Der Abend war richtig super! Und am nächsten Tag wachst du auf und könntest dich kaum elender fühlen.

„Über die Stränge schlagen“ gehört laut Liessmann zum Menschen dazu. Schmerz ist hierbei der Gegenpol zur Lust. Er ermöglicht uns erst, Lust zu empfinden. Lust steuert nämlich immer einen Höhepunkt an. Bestimmt kennst du den Spruch „man soll aufhören, wenn’s am schönsten ist“.

Lust sollte immer in einer Erfüllung enden, denn zu lange und zu viel Lust hält kein Mensch aus. Trotz des unglaublichen Gefühls ist es doch sehr kräftezehrend für uns. Ein Beispiel: Auf der Arbeit bist du total im Flow, alles läuft wie geschmiert und du treibst dein Projekt voller Eifer voran. Doch dann, als du Pause machst, spürst du plötzlich, wie anstrengend das gerade für dich war.

Ebenso auf körperlicher Ebene: Das bekannteste Beispiel ist hier wohl der Orgasmus. Er katapultiert uns in höchste Höhen, und im nächsten Moment sind wir erschöpft und irgendwie leer. Auf starke Lustmomente folgt die Leere, weil wir wieder diesen starken Lustmoment erleben wollen. Ein ständiges Wechselspiel aus Lust und Leid, und das eine kann nicht ohne das andere existieren.

Lust ist unser Instrument, um uns selbst zu vergessen und einfach zu spüren. Wir können alles andere für einen Moment ausblenden. Doch es ist ein kurzer Moment, und kurz darauf „holt uns die Realität wieder ein“, sagen wir häufig.

4. Schmerz als das, was wir sind

So viel zu diesem lustvollen Moment im Bett. Kurz darauf wieder die Leere. Am nächsten Tag der neue Ärger und abends vorm Fernseher dann das Selbstmitleid über das eigene Leben. Den atemberaubenden Moment gestern im Bett haben wir eigentlich schon wieder vergessen und konzentrieren uns auf den Schmerz.

Wir erinnern uns viel mehr an das Leid als an die lustvollen Momente. Schmerz aber ist dazu da, uns unsere Identität zu geben. Er prägt uns, er macht uns aus.

Die Frage ist, wie wir mit ihm umgehen. Akzeptieren wir den Schmerz als sinnvollen Begleiter unseres Lebens? Sagen wir „Ja“ zum Leben mit all seinen Herausforderungen und Widersprüchen? Halten wir auch Dinge aus, die uns gegen den Strich gehen? Das Ausloten der Spannungsfelder zwischen Schmerz und Lust macht uns aus und verwirklicht, wer wir sind.

Die 2 Seiten der Medaille: Schmerz und Lust

Liessmann sagt, Schmerz und Lust sind eng miteinander verbunden. Tatsächlich ist das eine nicht ohne das andere erlebbar. Für ihn besteht der Mensch aus einem ständigen Widerstreit, aus Höhen und Tiefen. Wir müssten unsere Gefühle wegsperren und in Gleichmut leben, um Schmerz zu vermeiden – doch dann büßen wir auch die Lust ein. Wenn du dich zum Beispiel gegen einen Partner entscheidest, wirst du zwar den Schmerz vermeiden, aber auch die wunderbaren Freuden einer Partnerschaft nicht erleben.

Die Lust auf Lust und die Sehnsucht nach Schmerzvermeidung gehören beide zum Menschen dazu. Wir kommen aus dem Kräftemessen nicht heraus. Deshalb mein Tipp: Arbeiten wir liebevoll mit allem, was wir erleben und fühlen dürfen.

Herzlich, Sabrina

Ich freue mich auf deine ehrlichen Gedanken zum Text! Was hältst du von Lust und Leid?

Titelbild: Pexels/Pixabay

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